Wenn der Rechtsstaat versagt, wird die Community zur Stimme – und zur Kraft
Wilson A. hat überlebt. Gerade so. Was als einfache Polizeikontrolle begann, endete für ihn mit massiver Gewalt. Sein Vergehen? Eine dunkle Hautfarbe. Seit über 14 Jahren sucht er nach Gerechtigkeit – durch alle Instanzen, die entweder weggeschaut oder weggelächelt haben. Jetzt zieht sein Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Weil es nicht nur um ihn geht. Sondern um ein System, das zu oft schweigt, wenn es am lautesten sprechen müsste. Und weil es eine Community gibt, die sagt: „Nicht mit uns.“
Sandra spricht in unserem Interview über ihr Crowdfunding und die Geschichte dahinter:
Crowdify: Könnt ihr uns mehr über euer Projekt erzählen und warum es euch am Herzen liegt?
Sandra: Wir bringen den Fall Wilson A. vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil Wilson A. kein Einzelfall ist. Immer wieder stossen Betroffene von Racial Profiling und Polizeigewalt mit ihren Beschwerden auf eine unwillige Justiz. Verfahren werden eingestellt oder gar nicht eröffnet, Beweisanträge und unabhängige Untersuchungen abgelehnt, Rassismus negiert. Der EGMR wird so zu einem entscheidenden Ort, an dem wir Grundrechte und Verantwortung einfordern können. Internationale Verfahren sind nicht nur symbolisch – sie erzeugen konkreten Druck, verpflichten Staaten zu Veränderungen und können die Betroffenen und ihre Communitys stärken.
Im Februar 2024 haben Mohamed Wa Baile und die Allianz gegen Racial Profiling vom EGMR in allen Punkten Recht bekommen: Racial Profiling verletzt die Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot. Doch die Umsetzung des Urteils in der Schweiz ist ungenügend, und das Ministerkomitee des Europarats hat der Schweiz eine Frist bis Juni 2026 für weitere Schritte gesetzt. Angesichts der vielen Fälle von tödlicher Polizeigewalt gegen schwarze Menschen insbesondere im Kanton Waadt, wo vor einem halben Jahr auch faschistische WhatsApp-Chats von Polizisten aufgeflogen sind, ist dies wirklich lebenswichtig.
Wir führen diesen Kampf nicht alleine. Rassismuserfahrene Menschen kämpfen gemeinsam mit solidarischen Menschen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind, aber dieselben Werte teilen: Gerechtigkeit, Würde, gleiche Rechte, Verantwortung. Daraus entsteht eine Community, für die wir unendlich dankbar sind. Sie wird gestärkt, wenn wir sichtbar werden, laut bleiben und gemeinsam für unsere Rechte kämpfen – nicht nur für einzelne Verfahren, sondern für eine gerechtere Zukunft für alle. Wir sind Teil dieser Community, und sie ist grösser und stärker, als wir manchmal denken. Das zeigt auch der überwältigende Erfolg unserer Crowdfunding-Kampagne: Mehr als ein Drittel unseres Ziels von 25'000 Franken war nach weniger als 24 Stunden bereits erreicht. Dafür sind wir unendlich dankbar.
Crowdify: Was sind eure langfristigen Ziele für euer Projekt und wie seht ihr die Entwicklung in den nächsten Jahren?
Sandra: Wir erwarten, dass wir die Schweiz durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwingen können, gewisse Schritte einzuleiten, damit Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt klar geahndet werden und dass Betroffene reale Möglichkeiten erhalten, sich zu wehren. Doch es geht auch um mehr: Gerechtigkeit umfasst viele Aspekte in einer demokratischen Gesellschaft. Gesamtgesellschaftlich sollten Ressourcen der Polizei in die soziale und demokratische Teilhabe und Teilnahme umverteilt werden. Da kann einem aber auch bange werden, angesichts der politischen Entwicklungen zurzeit hierzulande und weltweit.
Wir sind jedoch zuversichtlich, dass das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für das Problem der Polizeigewalt gegen rassifizierte und marginalisierte Menschen weiter wächst und der Druck von unten stärker wird. Als wir die Allianz gegen Racial Profiling im Jahr 2015 gegründet haben, hiess es, dass es so etwa wie Racial Profiling in der Schweiz nicht gebe. Das hat sich inzwischen geändert. Dazu haben Black Lives Matter und viele antirassistische Kollektive, die bereits vor Black Lives Matter aktiv waren, beigetragen. Diese Geschichte zeigt zum Beispiel auch das Schwarze Schweiz Online Archiv (SSOA). Wir sind Teil dieser langen Geschichte und werden weiter dranbleiben.
Crowdify: Wie habt ihr die Crowdfunding-Ziele für euer Projekt festgelegt?
Sandra: Die Anwältin von Wilson A. schätzt, dass es für das Verfahren am EGMR rund 30'000 Franken braucht. Wir haben als Allianz gegen Racial Profiling nicht viele Reserven, haben aber doch immer wieder solidarische Spenden bekommen. Wenn wir 25'000 Franken erreichen, können wir die Kosten stemmen, die auf uns zukommen. Zum Glück können wir auch auf solidarische Unterstützung zählen, zum Beispiel vom Kollektiv Movingchange, das für uns kostenlos das Crowdfunding-Video produziert hat.
Crowdify: Welche einzigartigen Goodies bietet ihr euren Boostern an und wie kamt ihr auf diese Ideen?
Sandra: Einerseits konnten wir auf den Fundus unserer bisherigen 10-jährigen Arbeit zurückgreifen: Publikationen, die im Rahmen der Allianz gegen Racial Profiling entstanden sind, T-Shirts, Sticker … Spontan haben aber auch viele Menschen aus der Community angeboten, uns spezielle Goodies zur Verfügung zu stellen: etwa einen post_kolonialen Stadtrundgang in Bern, weitere antirassistische Bücher, Stick-and-Poke-Tattoos oder eine Anamnese in Traditioneller Chinesischer Medizin. Und wir haben noch weitere einzigartige Goodies in Reserve, die wir erst noch aufschalten werden. Seid gespannt!
Crowdify: Gibt es eine besondere Botschaft oder ein spezielles Anliegen, das ihr potenziellen Boostern mitteilen möchtet?
Sandra: Ihr seid Teil einer wunderschönen Community und helft mit, wichtige Arbeit zu leisten, die Betroffene stärkt und die Gesellschaft einen Schritt hin zu Gerechtigkeit und Würde für alle bringt. Die vielen Social-Media-Posts, die stärkenden Emails und Gespräche sind enorm unterstützend für uns und zeigen, dass wir uns alle in diesem Kampf beteiligen.
Crowdify: Welche Herausforderungen habt ihr bisher bei der Umsetzung eures Projekts erlebt?
Sandra: Es gibt Ende Jahr viele wichtige Projekte, die Unterstützung brauchen, wie «Halbtax gegen Isolation» oder der Queerfeministische Raum in der Reitschule Bern. Wir hoffen, dass all diese Projekte gleichzeitig unterstützt werden können.
Crowdify: Gibt es ähnliche Projekte, die euch inspiriert haben oder von denen ihr gelernt habt?
Sandra: Wir fühlen uns verbunden und inspiriert von Kampagnen und Projekten wie der Autonomen Schule Zürich, der Kampagne Justice4Nzoy mit ihrem Bündnis und der Unabhängigen Kommission, oder auch von CORA, der antirassistischen Koalition in der Westschweiz.
Crowdify: Wie habt ihr euer Team zusammengestellt und welche Rollen spielen die einzelnen Mitglieder?
Sandra: Wir sind Mitglieder der Allianz gegen Racial Profiling, die aus rassismuserfahrenen und solidarischen nichtbetroffenen Menschen besteht. Wir sind nicht viele und bringen alle unsere spezifischen eigenen Kompetenzen mit. Einige fühlen sich in Medienarbeit und Social Media einigermassen wohl, andere übernehmen lieber Arbeit im Hintergrund. So ergänzen wir uns gut.
Fazit:
Dieses Crowdfunding ist kein Spendenaufruf. Es ist ein Ruf nach Verantwortung. Nach Sichtbarkeit. Nach einer Gesellschaft, die nicht länger zuschaut, wenn Menschen entwürdigt und zum Schweigen gebracht werden. Der Gang nach Strassburg ist ein symbolischer – aber er ist auch ein realer Schritt, um Racial Profiling nicht mehr unter den Tisch zu kehren. Jeder Franken ist ein Baustein auf diesem Weg. Jede Unterstützung ein Signal: Wir sind viele. Und wir hören nicht auf.
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Denn Veränderung beginnt dort, wo Menschen den Mut haben, den ersten Schritt zu gehen. So wie Wilson. So wie du.