„Wer zuerst blinzelt, hat verloooreeen!“ rief man in meiner Jugend, stellte sich vor das Opfer seiner Wahl und zwang sein Gegenüber damit, sofern dieses sich nicht der Schmach widerstandslosen Kapitulierens aussetzen wollte, zu langanhaltendem Augenkontakt, der nur durch Blinzeln auf der einen oder anderen Seite abgebrochen werden konnte. Ich hasste das Spiel, befand mich aber in der unglücklichen Lage, dass ich in eine ausgeprägte Dichte von Blinzelspielliebhabern geboren wurde. Es ist nicht so, dass ich nicht gewinnen wollte, ich war immer schon sehr gerne Siegerin, aber wenn ich dafür minutenlang in irgendjemandens treudoofen Augen starren musste, schien mir der Preis doch ziemlich hoch. Ja, ich war und bin nicht die grösste Anhängerin innigen Versinkens in Gegegenübers Augen. In der Absicht meine Gegner nachhaltig zu langweilen, begegnete ich Binzelspielinitianten mit möglichst unauffällig absichtlich herbeigeführtem Unterliegen und schob als Erklärung einige Erläuterungen zu von Natur aus trockenen Augäpfeln nach. Leider schien ich als sichere Verliererin nicht wie geplant uninteressanter, sondern eine um so willkommenere Möglichkeit zu sicherem Sieg zu werden. Naheliegend, dass mir somit nur konsequentes, vernichtendes Siegen um jeden Preis blieb. Als nicht sonderlich wassernah gebaute Person fiel blinzelpräventives Befeuchten der Augen als Strategie weg, denn trotz lebhafter Phantasie vermochte ich nie, mir Tränen in die Augen zu denken. Da halfen nicht mal gedanklich gemeuchelte Hundebabies. Es blieben nur Hartnäckigkeit und Konsequenz als Mittel zum Sieg. Und so lernte ich fürs Leben: Ich lernte perfektionierten Stoizismus und absolute Ignoranz und, fast noch wichtiger: Ich lernte den lebens- siegerettenden Punkt zwischen den menschlichen Sehwerkzeugen kennen, bei dessen Betrachtung das Gegenüber annimmt, man versänke gerade in innigen Augenkontakt. Eine Erkenntnis, von der ich noch heute profitiere, denn ich kann mir zwar keine Gesichter merken, aber beim Zwischenaugenpunktebeschrieb macht mir so schnell niemand was vor. Ich kenne Sie alle, Ihre Zwischenaugenbrauenpunkte. Als Kind brachte mich dieser Wissenszuwachs zu multiplen Siegen: Den Blick starr auf eben jenen Punkt zwischen den Augen geheftet, liess ich mich nicht ablenken oder beirren. Resistent gegen alle äusseren Einflüsse starrte ich mich durch Pausen, Mathe-, Turnstunden und diese Leerlaufminuten, bevor der Unterricht begann, ich starrte auf Zwischenaugenaugenbrauenflaum, Zwischenaugenhautunreinheiten, Zwischenaugenaugenbrauenurwälder, Zwischenaugenkahlschlag und Zwischenaugenansatzfalten, bis meine Gegenüber blinzelnd ihre Niederlage eingestanden.
Ich war der Starr meines Jahrgangs.